DER VERBORGENE SERVER: DIGITALE TECHNOLOGIEN, ERSCHEINUNGSMYTHEN, MACHTBEZIEHUNGEN UND KÖRPERPOLITIK
Theorie-Praxis-Seminar
Von Ariana Dongus und Nadja Verena Marcin
Seminarbeschreibung: Im sonnigen Himmel einer mythischen Technosphäre fliegt eine Wolke. Von jener Wolke werden buchgroße Hochleistungsterminals gespeist, deren menschlicher Nutzer präsentiert sich – ähnlich wie bei Gullivers Reisen – als Riese im Vergleich zum Technikgerät. Der menschliche Körper dabei erscheint zwecklos. Hinzu kommt, dass jene Wolke eine künstliche Intelligenz besitzt, die auch den Verstand der Nutzer herausfordert. Wohin soll diese Reise gehen und wird der Nutzer den Weg zurück ins Menschenland finden?
Das Theorie-Praxis-Seminar „Der verborgene Server – Digitale Technologien, Erscheinungsmythen, Machtbeziehungen und Körperpolitik“ untersucht das Verhältnis der menschlichen Vorstellungskraft zur Technologie, ihren Anwendungen und Vermarktungsstrategien, sowie die strukturellen Machtverhältnisse der Produktion im Vergleich zu Sichtbarkeit, zur Ordnung unserer Weltgesellschaft, individuellen sozialen Beziehungen und nicht zuletzt der des menschlichen Körpers.
Hilfreich oder lästig – während die Verflechtung von Menschen und Maschine im Alltag von allen erlebt wird, wird die Technik in der Mainstream-Vorstellung weiterhin als das große Andere propagiert. Interessant ist dabei, wie Technik je nach Kontext unterschiedlich beschrieben wird: Wenn sie unsichtbar sein soll, ist sie nur ein Prozess, z.B. das WIFI; wenn sie Aufmerksamkeit und Emotionen mobilisieren soll, wird sie in Form von feminisierten Servicerobotern oder apokalyptischen Terminatoren anthropomorphisiert. In der aktuellen
Diskussion über groß angelegte Sprachmodelle wie ChatGPT wird es als geistige Bedrohung für die Menschheit dargestellt.
Was in diesen alarmistischen Diskussionen oft untergeht, sind Nuancen und wichtige Aspekte rund um die Implementierung von KI. Die Normalisierung von “KI” macht die Frage unsichtbar, welche Version des Menschseins wir derzeit haben und wen sie ausschließt. Wie von vielen beschrieben, ist die politische Vorstellung von KI als Sklave menschlicher Bedürfnisse, als eine Maschine, die sich eines Tages gegen ihre menschlichen Schöpfer erheben könnte, zutiefst kolonial und patriarchalisch und basiert immer auf der Vorstellung, dass Andere minderwertig sind, kontrolliert, unterdrückt und ausgebeutet werden müssen.
Ausgehend von zwei Büchern, “Surrogate Humanity: Race, Robots, and the Politics of Technological Futures” von Neda Atanasoski und Kalindi Vora, und “Caliban and the Witch: Women, the Body and Primitive Accumulation” von Silvia Federici werden wir die historischen, sozialen und politischen Kontexte analysieren, die die politischen Beziehungen zwischen Technologie und dem menschlichen Körper geprägt haben. Durch kritische Lektüre, praktische Übungen und Diskussionen werden wir erkunden, wie Technologie zur Kontrolle und Ausbeutung von Körpern eingesetzt wurde/wird, aber auch Beispiele untersuchen, in denen sich Körper gegen solche Technologien gewehrt und sie erfolgreich unterlaufen haben.
Von Robotern bis hin zu medizinischen Experimenten – im Laufe des Kurses beschäftigen wir uns mit konkreten Beispielen dafür, wie der Körper als Testfeld für verschiedene Technologien diente/dient. Wie Technologien uns von bestimmten Aufgaben befreien, uns aber gleichzeitig abhängig machen. Wie Künstler von der Körperkunst der 60er Jahre bis zum heutigen Konzept der Performancekunst sich im Laufe der Jahre mit diesen Fragen auseinandergesetzt haben. Gleichzeitig wird im Seminar ein Drehbuch für ein Dokumentarvideo entwickelt und umgesetzt, das uns gemeinsam durch den Dschungel unserer Recherche führen wird und anderen einen prägnanten Einblick in die Ergebnisse unserer kollektiven Recherche gibt.